Tolkien auf den Hebriden

"Schottensterben" - eine Buchempfehlung

Gigha ist die südlichste der Inneren Hebriden und die Heimat von Nicol, den die meisten nur "den Hobbit" nennen. Der passionierte Barfußgeher und bekennende Tolkienfan lebt am Nordosten der Insel. Und eines Morgens bekommt er unerwarteten Besuch.

2. Dezember 2020

Von Uli Hacke

Damit beginnt "Schottensterben", der zweite Hebriden-Roman aus der Feder von Gordon Tyrie, der eigentlich Thomas Kastura heißt und aus Bamberg kommt. Schottland ist die große Liebe des erfahrenen Autors, der auf zwanzig Jahre Erfahrung beim Schreiben von Kriminalromanen und -erzählungen zurückblicken kann.

Tyrie schreibt flott und anschaulich - und hat sichtbar Freude an seinen Charakteren, die alle eines gemeinsam haben: sie sind herrlich schrullig und verschrobene Einzelgänger. Das passt hervorragend zur kleinen Insel Gigha, die östlich von Islay und kurz vor der Halbinsel Kintyre liegt. Etwas mehr als 160 Menschen leben dort, Gigha gilt als raue Hebridenschönheit. Die Schilderungen von Tyrie sind detailliert und lebendig, man merkt sofort, wie gut er recherchiert hat. Viele der Handlungsschauplätze lassen sich mit Google Earth wiederfinden. So auch den Palm Beach Tree, wo "Hobbit" Nicol lebt.

Der bekommt nun aber nicht etwa Gandalf den Grauen zu Besuch (obwohl auch der bestens in die Landschaft gepasst hätte), statt dessen wird eines Morgens eine Leiche an den Strand geschwemmt! Schon einigermaßen von hungrigen Meeresbewohnern angeknabbert bietet sie wahrlich keinen schönen Anblick - der Tote in vollem Schottenoutfit muss dringend weg, also schnappt Nicol sich einen Spaten. Dumm nur, dass er dabei beobachtet wird. Da wäre zum Beispiel Mr. Snodgrass, der Hobbyornithologe, der aber eigentlich ganz anders heißt und Lesern des ersten Hebridenkrimis "Todesströmung" wohl bekannt ist. Oder die Schwestern Val und Phyllis. Val hat ja etwas von Galadriel, findet Nicol, während Phyllis unregelmäßig in der Vergangenheit zu leben scheint. Und wenn die nervigen Engländer nicht wären, die auf Gigha Urlaub machen und notorisch unzufrieden sind, könnte es eigentlich ganz locker werden. Das findet auch Lizzy, das Highland-Rind, die über die Insel stakst und sich ihre ganz eigenen Gedanken macht.

Tyrie schreibt sehr visuell, man sieht die einzelnen Szenen sofort vor sich, das Ganze wirkt wie ein Film. An manchen Stellen denkt man sich: es wird doch nicht etwa...? Doch, meistens geschieht genau das. Manch einer mag da fehlenden Tiefgang bemängeln, aber Tyrie will unterhalten und das gelingt ihm hervorragend. Beinahe zu gut, will man meinen, denn die gut 360 Seiten sind viel zu schnell durchgelesen. Viele Tolkien-Referenzen, schwarzer Humor, schräge Figuren und die pittoreske Insellandschaft ergeben eine wunderbare Mischung, die man am besten mit einem leicht torfigen Single Malt Whisky genießt.

Gordon Tyrie
"Schottensterben"
erschienen im Droemer-Verlag, Mai 2020
ISBN 978-3426307328

Übrigens: 2002 haben die Bewohner von Gigha die Insel für vier Millionen Pfund gekauft, seitdem ist der Isle of Gigha Heritage Trust der juristische Besitzer. Im Vergleich zum schottischen Durchschnitt hat Gigha überdurchschnittlich viele Sonnenstunden.

Und: "Todesströmung" (s.o.) ist ebenfalls sehr zu empfehlen - ist aber komplett anderes. Der actiongeladene Thriller spielt auf der Isle of Jura und erzählt von drei Auftragskillern, die nach einem verpatzten Einsatz in Glasgow untertauchen müssen und sich auf Jura verstecken. Der Roman ist hochspannend und packend geschrieben, auch hier zeigt Tyrie sein Talent für cineastische Beschreibungen. Das Ganze ist wunderbar in die einsame Inselwelt Juras und ihrer Bewohner eingebettet. Es geht rasant und manchmal auch recht gewalttätig zur Sache. Eine Verfilmung wäre bestimmt großartig.

Man muss diesen Band nicht gelesen haben, um "Schottensterben" zu verstehen, er macht aber ein paar Dinge deutlicher.